Meine lieben Frauen

Dr. Michael Harcks

Solange ich mich erinnere, habe ich meiner Frau zum Frauentag am 8. März - und nicht nur zu diesem, aber zu diesem regelmäßig - Blumen geschenkt und bestimmt freut sie sich auch dieses Jahr schon darauf.

Ganz gewiss bin ich mit diesem, meinem tradierten Verhalten nicht allein. Sicher können andere Geschlechtsgenossen, die in der Beziehung mit einer Frau leben, noch von weitergehenden Ritualen berichten, die sie zu diesem Anlass pflegen.

Vergleichbares Verhalten ist auch über die Zweierbeziehung hinaus in abgestufter Form zu beobachten. Männer gratulieren Frauen, Frauen gratulieren sich gegenseitig, einige nutzen die Chance, durch geschickte Verknüpfung mit diesem Anlass für sich, für ihr Unternehmen, für ihre politische Gruppierung zu werben und die Blumengeschäfte haben dieses Datum in gleicher Priorität, wie den Valentinstag einige Wochen zuvor und den Muttertag 2 Monate später.

War es das? Nein! Seit einigen Jahren bemühe ich mich, weil ich viel in der Öffentlichkeit agiere, insbesondere kommuniziere, zu „gendern“, was das Zeug hält. Ich bin jetzt über 70. Die Vorschulzeit zähle ich mal nicht mit, dann habe ich gut 50 Jahre anders gesprochen und geschrieben als heute.

Ich habe zu vier Frauen eine besondere Beziehung:

Da wäre als erstes meine Mutter, die mich allein erzogen hat und als promovierte Dozentin an einer Hochschule arbeitete. Eine großartige und starke Frau!

Da ist meine Ehefrau seit 49 Jahren, Mutter unserer drei erwachsenen Kinder, Hochschulabsolventin und bis vor einigen Jahren ununterbrochen tätige Gymnasiallehrerin, eine allseits geachtete, selbstbewusste, selbstständige und vor allem liebenswerte Person.

Dazu kommen meine beiden erwachsenen Töchter, denen meine Frau erfolgreich den Rat für das Leben erteilt hat, sich beruflich so zu entwickeln, dass sie nie in wirtschaftliche Abhängigkeit, von wem auch immer geraten. Damit sei die beste Voraussetzung gegeben, mit allen und immer auf Augenhöhe zu agieren.

Alle diese Frauen haben in meinem bisherigen Leben viel von mir erwartet, wie ich im Gegenzug von ihnen, jede in ihrer Rolle. Das meiste habe ich gerne erfüllt und oft habe ich dabei Freude empfunden. Mitunter hat es mir auch einiges abverlangt. So ist das Leben. Sie haben auch erwartet, dass sie zum Frauentag Blumen bekommen, eine lösbare Aufgabe. Aber eines haben diese Frauen nie von mir verlangt, dass ich „gendere“!

Damit Frauen, nicht nur in meiner Familie, sondern in der ganzen Gesellschaft gleichwertige Lebensbedingungen bekommen, die ihnen ihren ebenbürtigen Platz einräumen, bedarf es eines strukturellen und eines kulturellen Wandels. Frauentag und „gendern“ sind kleine Ansätze zum kulturellen Wandel und somit haben sie ihre Berechtigung, auch wenn ich das erste als liebgewordene Gewohnheit begreife und das letztere als unbequeme Neuerung erfahre.

Viel dringender aber und wesentlich schwerer durchzusetzen sind adäquate gesellschaftliche Strukturen für Geschlechtergerechtigkeit, soweit man sie auch fassen möge! Das erfordert harten Kampf, ständiges Bemühen, einen langen Atem und für viele meiner Geschlechtsgenossen auch Verzicht!

In diesem Sinne, liebe Zeitgenosseninnen:

„Herzlichen Glückwunsch zum Frauentag!“