Psychosoziale Prozessbegleitung im ungebremsten Sinkflug

Jacqueline BernhardtPressemeldungen

Zur Antwort der Landesregierung auf ihre Kleine Anfrage „Psychosoziale Prozessbegleitung 2020“ (Drs. 7/6256) erklärt die rechtspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Jacqueline Bernhardt:

„Mit lediglich 16 Beiordnungen im Jahre 2020 hat die psychosoziale Prozessbegleitung in Mecklenburg-Vorpommern einen neuen Tiefpunkt erreicht. Selbst im Jahre 2010, im ersten Jahr des neuen Modellprojekts, erfolgten ein Viertel mehr Beiordnungen an die damals nur zwei Prozessbegleiterinnen.

Seit ihrer Verstetigung befindet sich die psychosoziale Prozessbegleitung im ungebremsten Sinkflug. Ein großes Problem ist ihre Finanzierung über Fallpauschalen, die den tatsächlichen Arbeitsaufwand nicht abbilden. Zudem besteht in den Gerichten offenbar auch Uneinigkeit hinsichtlich der zu bewilligenden Pauschalen. So wurde im Landgerichtsbezirk Stralsund die dritte Vergütungsstufe in allen Verfahren bewilligt, im Landgerichtsbezirk Schwerin in nicht einem einzigen. Hier muss die Landesregierung endlich für Klarheit sorgen, welche Bewilligungen wann zu erfolgen haben. Auch die Aus- und Weiterbildung der Prozessbegleiterinnen und -begleiter muss gefördert werden. Es ist keinesfalls so, dass sich die Ausbildungskosten mit den Fallpauschalen refinanzieren, wie es die Landesregierung in ihrer Antwort darstellt. In seiner jetzigen Vergütungsform ist der Beruf finanziell unattraktiv. Gleichwohl besteht ein gesetzlicher Anspruch auf psychosoziale Prozessbegleitung. Das Land muss dafür sorgen, dass auch ausreichend Prozessbegleiterinnen und -begleiter ausgebildet werden.“

Hintergrund. Im Jahre 2010 startete in Mecklenburg-Vorpommern das Modellprojekt „Psychosoziale Prozessbegleitung“. Hierbei sollten zunächst Kinder und Jugendliche, die Opfer von Straftaten wurden, in Strafprozessen begleitet werden. Ziel war die psychologische Betreuung der Opfer und die Unterstützung des Strafprozesses, in dem die Opfer in die Lage versetzt werden sollten, belastbare und stabile Zeugenaussagen zu liefern. Landesweit waren zunächst zwei, ab 2014 vier psychologische Prozessbegleiterinnen tätig, deren Stellen vom Land vollfinanziert wurden. Die Inanspruchnahme der psychosozialen Prozessbegleitungen stieg von 22 im Jahre 2010 auf 113 im Jahre 2015 an.

Ab dem 1. Januar 2017 wurde das Modellprojekt verstetigt und erwuchs zu einem bundesweiten Anspruch auf psychosoziale Prozessbegleitung, der auch erwachsene Opfer von Straftaten miterfasst. Mit der Verstetigung änderte sich nach einem halben Jahr auch das Finanzierungsmodell von der Stellenfinanzierung hin zu einem fallpauschalbasierten Finanzierungsmodell. Trotz der Ausdehnung der psychosozialen Prozessbegleitung auch auf Erwachsene und eines gesetzlichen Anspruchs, ging die Inanspruchnahme kontinuierlich zurück. So wurden im Jahre 2019 landesweit nur noch 31 psychosoziale Prozessbegleitungen genehmigt, 2020 waren es sogar nur noch 16. Die Landesregierung hat sich auf Bundesebene zumindest dafür eingesetzt, dass künftig eine antragslose Beiordnung erfolgen soll. Darüber hinaus werden von vielen Fachleuten jedoch die Umstellung des Finanzierungsmodells und das Fehlen geeigneter Prozessbegleiter als Ursachen für bestehende Probleme gesehen.