Verfassungsschutz sollte aggressiv und risikobereit um Spitzel buhlen

Zur gestrigen Sitzung des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses (PUA) zur Aufklärung der NSU-Aktivitäten und weiterer rechtsterroristischer Strukturen in Mecklenburg-Vorpommern erklärt der innenpolitische Sprecher der Linksfraktion, Michael Noetzel:  

 

„Der erste Zeuge der gestrigen Sitzung – ein ehemaliger Szeneangehöriger, bundesweit bekannter Liedermacher und Musiker einer Rechtsrockband – hat dem Ausschuss interessante Einblicke in die Neonazi-Szene der 1990er und 2000er Jahre geliefert. An einzelne Ereignisse konnte sich der Zeuge jedoch nicht erinnern, weil Menschenverachtung und Gewalt offenbar an der Tagesordnung standen.

 

Viele Ereignisse, wie Demonstrationen, seien schlicht austauschbar gewesen, und auf Konzerten sei es regelmäßig zu schweren Auseinandersetzungen mit der Polizei gekommen. Deshalb könne er sich nicht an Einzelheiten erinnern. Er hat damit trefflich das politische Klima in einer Zeit beschrieben, in dem Neonazis entfesselt agierten. Eine Zeit, in der der NSU sozialisiert wurde, und die später als so genannte Baseballschlägerjahre traurige Berühmtheit erlangte.

 

Auch wenn der Zeuge sich glaubhaft seit längerem aus der Szene gelöst hat, mussten wir den Eindruck gewinnen, dass er insbesondere die Rolle und Bedeutung von Blood&Honour, kurz B&H, relativierte. Das internationale Netzwerk war keine bloße Konzertveranstaltungsstruktur. Wir wissen, dass B&H die zentrale ideologische wie praktische Unterstützungsstruktur des NSU war. Die Mord- und Anschlagsserie wäre nicht möglich gewesen, wenn das Netzwerk den abgetauchten Bombenbastlern aus Jena nicht unter die Arme gegriffen und entscheidende Hilfe geleistet hätte. B&H war eine politische Organisation, die mit C18 über einen ‚bewaffneten Arm‘ verfügte und Terrorkonzepte wie das ‚Field Manual‘ verbreitete.

 

Die Aussagen des ehemaligen Szeneangehörigen zum politischen Klima deckten sich insoweit mit den Aussagen des zweiten Zeugen der gestrigen Sitzung, dem ehemaligen V-Mann-Führer des Neonazis Michael Gr., alias VM Martin. Teile der Szene hätten sich Ende der 1990er Jahre immer militanter ausgerichtet. Aus der Spitze des Innenministeriums habe es in dieser Zeit die Weisung gegeben, aggressiv und risikobereiter nach Spitzeln zu werben. So sei es auch zur Verpflichtung von Gr. gekommen, der bereits vor seiner Anwerbung polizeilich wegen Gewaltdelikten bekannt war. In seiner Zeit als V-Mann schlug er schließlich eine Person ins Koma und beging einen rassistisch motivierten Brandanschlag auf eine Pizzeria in Grevesmühlen. Aus meiner Sicht ist hier nichts ‚aus dem Ruder gelaufen‘, wie es zunächst vonseiten des damaligen Leiters der Verfassungsschutzabteilung hieß. Der Fall um Gr. ist Symbol einer unsäglichen V-Mann-Praxis, die immer ein Spiel mit dem Feuer bleiben wird.“